Vertrag von Lissabon

Der Lissabon-Vertrag

(offiziell: „Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft")

Um im Zuge der letzten EU-Erweiterung weiterhin größtmögliche Handlungsfähigkeit zu wahren und effektiv aufgestellt zu sein, sah sich die Europäische Union gezwungen zu handeln. Damit kohärentes und transparentes Agieren möglich ist, war es für die Union unabdingbar, sich neu auszurichten. Als Ergebnis entstand der Vertrag von Lissabon.

Martin Schulz: "Heute ist ein guter Tag für Europa. Dass nach jahrelangen Verhandlungen, oft äußerst schwierigen politischen Auseinandersetzungen und etlichen Rückschlägen der Vertrag von Lissabon heute in Kraft tritt, ist ein großer Schritt nach vorn für eine starke und soziale Europäische Union im globalen 21. Jahrhundert."

Die bisherigen Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza bedurften einer Weiterentwicklung. Der Lissabon-Vertrag erweitert die Gesetzgebungskompetenz des Europäischen Parlaments, das nunmehr bei fast allen EU-Gesetzen mitbestimmt und über deren Inkrafttreten entscheidet. In mehr als 40 zusätzlichen Bereichen kommt zukünftig das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (bisher „Mitentscheidungsverfahren" genannt) zur Anwendung, dazu gehören beispielsweise die Landwirtschaftspolitik, Energiepolitik, Zuwanderungsfragen und die europäische Regionalförderung. Auch im Haushalt der EU wird es keine einzige Budget-Linie mehr geben, der das Parlament nicht zugestimmt hat. Mehr Macht bedeutet auch mehr Verantwortung. Als einzige EU-Institution, die aus direkten Wahlen hervorgeht, wird das Parlament in die Lage versetzt, dafür zu sorgen, dass die EU im Sinne der Bürger handelt und ihnen gegenüber demokratisch verantwortlich ist.

Die Arbeitsweise der Union wird von drei demokratischen Grundsätzen bestimmt: der demokratischen Gleichheit, der repräsentativen Demokratie und der partizipativen Demokratie.

Im Vertrag von Lissabon wird das Prinzip der demokratischen Gleichheit bestätigt, das heißt, dass die Institutionen alle Bürgerinnen und Bürger gleich behandeln müssen. Er stärkt die repräsentative Demokratie, indem er dem Europäischen Parlament eine wichtigere Rolle verleiht und die Parlamente der Mitgliedstaaten stärker einbindet. Die partizipative Demokratie wird mithilfe neuer Dialogformen zwischen Bürgern und Institutionen weiterentwickelt, zum Beispiel der Bürgerinitiative.

Überdies werden durch den Vertrag von Lissabon die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union klarer umrissen.

Das neue Europäische Parlament: mehr Mitspracherecht, mehr Verantwortung

Der Vertrag von Lissabon gibt dem Parlament mehr Möglichkeiten Europa zu gestalten. Mehr Macht geht aber auch mit mehr Verantwortung einher - gegenüber den Bürgern, den nationalen Parlamenten und der Europäischen Union insgesamt.

Jeder neue EU-Vertrag hat die Gesetzgebungskompetenz des Europäischen Parlaments gestärkt. Der Vertrag von Lissabon stellt nun das Parlament auf die gleiche Stufe mit dem Ministerrat, mit dem es nunmehr über die große Mehrheit der europäischen Gesetze entscheidet.

Zukünftig bedürfen auch alle internationalen Abkommen, die die EU abschließt – einschließlich der Handelsabkommen – der Zustimmung der Europa-Abgeordneten.

Mehr Mitspracherecht

Der Vertrag von Lissabon macht aus dem Europäischen Parlament einen stärkeren Gesetzgeber, indem 40 zusätzliche Politikbereiche unter das bisherige „Mitentscheidungsverfahren" fallen (nunmehr als „ordentliches Gesetzgebungsverfahren" bezeichnet), bei dem das Parlament gleiche Rechte wie der Ministerrat hat. Zu diesen Politikbereichen gehören z.B. Landwirtschaft, Energie, Einwanderung, Justiz und Inneres, Gesundheit und Strukturfonds.

Bei der Aufstellung des Haushalts bekommt das Parlament nun eine größere Rolle, da die Unterteilung in obligatorische und nichtobligatorische Ausgaben-Arten abgeschafft worden ist. Das Parlament wird nunmehr gleichberechtigt mit dem Ministerrat über den gesamten EU-Haushalt bestimmen.

Mehr Verantwortung

Mehr Macht bedeutet auch mehr Verantwortung in mehreren Politikbereichen. Die Entscheidungen des Parlaments werden mehr als je zuvor den Alltag der EU-Bürger beeinflussen. Dabei wird das Parlament insbesondere auf die Achtung der in der Charta der Grundrechte festgeschriebenen Bürgerrechte achten.

Die Europa-Abgeordneten werden eine neue Rolle innerhalb der EU und in den Beziehungen zu den anderen EU-Organen einnehmen. Zukünftig wird das Parlament den Präsidenten der Europäischen Kommission wählen und auch die (der) Hohe Vertreter(in) für die Außen- und Sicherheitspolitik benötigt die Zustimmung des Parlaments.

Außerdem kann das Parlament entsprechend des Lissabon-Vertrags selbst Änderungen in den EU-Verträgen vorschlagen.

Das Europäische Parlament und der Lissabon-Vertrag in 5 Stichpunkten

1. Das neue Europaparlament: bereit für die Herausforderungen der Zeit

Der Lissabon-Vertrag verbessert die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union im Allgemeinen und des Europaparlaments im Besonderen. In einer Zeit, in der sowohl Europa als auch der Rest der Welt Antworten auf die Globalisierung, demographische Veränderungen, Terrorismus und Klimawandel finden und ihre Energieversorgung sichern müssen, kann kein einzelnes Land und keine einzelne Regierung wirksam alleine handeln. Nur wenn Europa in einer demokratisch verantwortlichen und transparenten Weise effektiv und kohärent zusammenarbeitet und mit einer Stimme spricht, kann es die Erwartungen der Bürger erfüllen. Der Reformvertrag rüstet Ihr Europaparlament für die heutigen und zukünftigen Herausforderungen in einer gröβeren EU. Außerdem kann das Europaparlament zukünftig auch selbst Änderungen der Grundlagenverträge anstoβen.

2. Das neue Europaparlament: mehr Einfluss denn je

Mit dem Lissabon-Vertrag kann das Europäische Parlament mehr den je an der Gestaltung Europas mitwirken. Als Gesetzgeber für mehr als 40 neue Bereiche wird das Parlament endgültig ein mit dem Ministerrat, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten sind, gleichberechtigter Gesetzgeber. Landwirtschaft, Energieversorgung, Zuwanderung, Justiz und Inneres, Gesundheit und die Strukturfonds sind nur einige Handlungsfelder, in denen das Parlament nunmehr voll verantwortlich wird. Die Entscheidungen der Abgeordneten werden mehr denn je den Alltag der Bürger reflektieren und beeinflussen.

3. Das neue Europaparlament: mehr Einfluss auf die EU-Ausgaben

Von nun an wird das Parlament gemeinsam mit dem Ministerrat über den gesamten EU-Haushalt entscheiden. Bisher fehlten solche Kompetenzen für die vom Vertrag fest vorgeschriebenen Ausgabenarten, etwa für die Agrarpolitik oder im Zuge internationaler Abkommen, zusammengenommen rund 45% der EU-Ausgaben. Das Parlament wird nunmehr in allen Politikbereichen mit darüber entscheiden können, wie viel Geld wofür ausgegeben wird.

4. Das neue Europaparlament: bestimmt mit über das Führungspersonal

Mit dem Lissabon-Vertrag entscheidet das Parlament nicht nur über Haushalt und Gesetzgebung, auch seine Rolle bei der Auswahl des Führungspersonals wird weiter gestärkt. Das Parlament wählt den Präsidenten der Europäischen Kommission auf der Grundlage eines Vorschlags der Staats- und Regierungschefs, wobei diese das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen müssen. Auch die oder der neue Hohe Vertreter für die Auβen- und Sicherheitspolitik benötigt als Vize-Präsident(in) der Kommission die Zustimmung des Europäischen Parlaments.

5. Das neue Europaparlament: eine stärkere Stimme für Europas Bürger

Mehr Macht bedeutet auch mehr Verantwortung. Als einzige EU-Institution, die aus direkten Wahlen hervorgeht, wird das Parlament mit neuen Kompetenzen in die Lage versetzt, die EU insgesamt demokratisch zu kontrollieren und die 500 Millionen EU-Bürger zu repräsentieren. Das Parlament wird sich dafür einsetzen, dass die bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte, die in der nunmehr verbindlichen Grundrechtscharta enthalten sind, voll zur Geltung kommen. Das Parlament unterstützt auβerdem die Möglichkeit der Bürger, per europäischem Volksentscheid, der von mindestens einer Millionen Bürger unterstützt wird, die EU-Organe zum Handeln aufzufordern. Das Europarlament wird Partner der nationalen Parlamente und unterstützt deren Recht, Gesetzgebungsinitiativen der EU zu stoppen, wenn sie davon ausgehen, dass sie Dinge betreffen, die besser auf nationaler Ebenen geregelt werden können.

Die Reformen und die gesteigerte Effektivität anderer Institutionen:

Der Europäische Rat

Der Europäische Rat fungiert als politischer Impulsgeber. Er erhält den Status einer Institution der Union. Dadurch kommen jedoch für ihn keine neuen Aufgabengebiete hinzu. Vielmehr tritt ein neuer Akteur auf den Plan: der Präsident des Europäischen Rates. Vom Europäischen Rat für zweieinhalb Jahre gewählt, besteht seine Hauptaufgabe darin, die Vorbereitung und Kontinuität der Arbeiten des Europäischen Rates zu gewährleisten und auf einen Konsens hinzuarbeiten. Das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates ist mit keinem anderen nationalen Mandat vereinbar.

Der Rat der Europäischen Union

Der Rat der Europäischen Union vertritt die Regierungen der Mitgliedstaaten. Auch seine Rolle bleibt weitestgehend unverändert. Er teilt auch in Zukunft seine Aufgaben in den Bereichen Rechtsetzung und Haushalt mit dem Europäischen Parlament und spielt auch weiterhin bei der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Koordinierung der Wirtschaftspolitik eine zentrale Rolle.

Bei den Entscheidungsverfahren ändert sich durch den Vertrag von Lissabon am meisten. Insbesondere ist nun festgelegt, dass der Rat generell mit qualifizierter Mehrheit entscheidet. Es sei denn, die Verträge sehen ein anderes Verfahren, z. B. die Einstimmigkeit, vor. In der Praxis bedeutet dies, dass die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit auf zahlreiche Bereiche (wie Zuwanderung oder Kultur) ausgeweitet wurde.

Im Jahr 2014 wird dann für EU-Beschlüsse die doppelte Mehrheit von 55 % der Mitgliedstaaten und 65 % der Gesamtbevölkerung der Union eingeführt. Dies spiegelt die zweifache Legitimierung der Union wider und stärkt zugleich ihre Transparenz und Effizienz. Dieses neue Stimmengewichtungsverfahren wird durch einen dem „Kompromiss von Ioannina" vergleichbaren Mechanismus ergänzt. Dieses sollte es einer Gruppe von Mitgliedstaaten, die zusammen fast eine Sperrminorität erreichen, ermöglichen, ihre ablehnende Haltung gegenüber einem Beschluss zu bekunden. In diesem Fall muss der Rat alles daran setzen, in einem angemessenen Zeitraum eine für beide Parteien zufriedenstellende Lösung zu finden.

Die Europäische Kommission

Die Hauptaufgabe der Kommission ist die Wahrung der allgemeinen europäischen Interessen. Mit dem Vertrag kann ein Kommissar aus jedem Mitgliedstaat ein Mitglied der Kommission werden, während nach den vorherigen Verträgen nicht jeder Mitgliedstaat einen Kommissar stellen konnte.

Eine weitere wichtige Neuerung des Vertrags von Lissabon ist die direkte Verknüpfung der Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament und der Wahl des Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten.

Außerdem wurde die Rolle des Kommissionspräsidenten gestärkt: Er kann einzelne Mitglieder des Kollegiums ihres Amtes entheben.

Der Hohe Vertreter der Union für die Außenbeziehungen und die Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Kommission

Die Einrichtung des Amtes des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik ist eine der wichtigsten institutionellen Neuerungen des Vertrags von Lissabon. Dies dürfte den Zusammenhang der außenpolitischen Maßnahmen der Union erhöhen.

Der Hohe Vertreter bekleidet eigentlich zwei Ämter: Einerseits ist er Beauftragter des Rates für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und andererseits Vizepräsident der Kommission für die Außenbeziehungen. Als Beauftragter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik führt er den Vorsitz der regelmäßigen Tagungen der Außenminister der Mitgliedstaaten. Außerdem vertritt er die Union und die GASP auf internationaler Bühne. Dabei wird er durch einen Europäischen Auswärtigen Dienst unterstützt, der sich aus Beamten des Rates und der Kommission sowie Diplomaten der Mitgliedstaaten zusammensetzt.

Die weiteren Institutionen

Die derzeit geltenden Bestimmungen in Bezug auf die Europäische Zentralbank (EZB) und den Rechnungshof werden ohne wesentliche Änderungen beibehalten. Das Tätigkeitsfeld des Europäischen Gerichtshofs hingegen wird durch den Vertrag von Lissabon erweitert (insbesondere bei der strafrechtlichen und polizeilichen Zusammenarbeit). Ferner werden einige verfahrenstechnische Änderungen eingeführt.

Die nationalen Parlamente

Zwar sind die nationalen Parlamente nicht Teil des offiziellen institutionellen Gefüges der EU, doch tragen sie wesentlich zum ordnungsgemäßen Funktionieren der EU bei. Mit dem Vertrag wird die Rolle der nationalen Parlamente anerkannt und gestärkt. Wenn zum Beispiel eine ausreichende Anzahl nationaler Parlamente der Auffassung ist, dass eine Gesetzesinitiative besser auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene eingeleitet werden sollte, muss die Kommission diese Initiative entweder zurückziehen oder rechtfertigen, warum die Initiative ihrer Meinung nach nicht dem Grundsatz der Subsidiarität widerspricht.