Rede vor dem Europäischen Rat von Martin Schulz Präsident des Europäischen Parlaments 19. März 2015
Energieunion
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Energieunion ist ein historisches Projekt, vergleichbar nur mit der Gemeinschaft für Kohle und Stahl und dem Binnenmarkt, und sie verdient unser volles Engagement und unsere volle Unterstützung. Wir haben bereits mehr als genug Zeit verloren. Lassen Sie uns also unverzüglich zur Tat schreiten.
Präsident Hollande, Premierminister Rajoy, Premierminister Passos Coelho, ich möchte Ihnen daher meine Glückwünsche zur Einweihung einer Stromtrasse zwischen Baixàs in Frankreich und Santa Llogaia in Spanien - eine beispielhafte Maßnahme und ein vorbildhaftes Vorgehen. Diese Stromleitung trägt dazu bei, das Elektrizitätssystem der iberischen Halbinsel an die Energiemärkte im restlichen Europa anzubinden.
Was müssen wir nun tun:
Erstens müssen wir in Bezug auf Drittländer mehr tun, um unsere Erdöl- und Erdgaslieferanten zu diversifizieren und im Umgang mit Dritten einig aufzutreten und zu handeln.
Die Abhängigkeit von nur wenigen Lieferanten, von denen einige, wie Russland, eine marktbeherrschende Stellung innehaben oder unzuverlässig sind, macht uns anfällig für Taktiken nach dem Motto „Teile und herrsche“ und sie macht uns anfällig für Drohungen, unsere Energieversorgungskanäle zu blockieren. Kurzfristig wären wir daher gut beraten, Verbindungen zu so vielen verschiedenen Lieferanten wie möglich aufzubauen, insbesondere in Südosteuropa. Und langfristig sollten wir unsere Energieeinfuhren senken. Europa ist der größte Energieimporteur der Welt. Mehr als die Hälfte unserer Energie stammt aus Drittländern. Dies kostet uns 400 Milliarden Euro im Jahr!
Zweitens müssen wir deshalb intern unseren Energiebedarf verringern, indem wir unsere Energieeffizienz steigern. Die billigste und sauberste Energie ist die, die gar nicht erst verbraucht wird. Darüber hinaus müssen wir unsere eigene Energieerzeugung intelligent und klimafreundlich erhöhen und diversifizieren. Solidarität muss ein Eckpfeiler unserer Energiepolitik sein. Nur durch eine lückenlose Verknüpfung unserer internen Leitungen und Netze können wir sicherstellen, dass unsere Energie innerhalb Europas zu fairen Preisen frei fließen und die Orte erreichen kann, an denen sie am nötigsten gebraucht wird.
Erschwingliche und zugängliche Energie ist lebenswichtig, um den Fortbestand unserer Industrie zu wahren und die Sicherheit unserer Bürger zu gewährleisten. Zu viele Menschen in Europa können ihre Stromrechnung nicht bezahlen oder können es sich nicht leisten, im Winter zu heizen. Das Vorgehen gegen Energiearmut muss eine der wichtigsten Prioritäten jeder Regierung sein.
Anstatt Milliarden für Energie aus Drittländern zu zahlen sollten wir mit diesem Geld Arbeitsplätze und Wachstum schaffen, indem wir es in eine Energieunion investieren, also
– in die Überführung unseres fragmentierten Markts in einen vollständig integrierten Energiemarkt, wobei hier nur vollständig umgesetzt würde, was bereits vereinbart wurde, nämlich das dritte Energiebinnenmarktpaket,
– in Forschung und Innovation, in schon verfügbare und neue Technologien, insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz, sowie in Speicherung und Transport erneuerbarer Energien. Lassen sie mich Ihnen hier eine weitere Zahl nennen: die europäischen Unternehmen für erneuerbare Energien haben bereits heute einen kombinierten jährlichen Umsatz von 129 Milliarden Euro und beschäftigen über eine Million Menschen,
– und in die Steigerung der Energieeffizienz unserer Häuser und Gebäude. Derzeit sind Dreiviertel unserer Häuser noch nicht energieeffizient. Es bleibt noch eine Menge Arbeit - und dies wird noch viel mehr Arbeitsplätze schaffen und im Nachgang viel Geld sparen, das sonst vergeudet würde.
Die Kommission schätzt, dass bis 2020 eine Billion Euro in den EU-Energiesektor investiert werden muss. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass dieses Geld intelligent ausgegeben wird, so dass wir unsere Ziele, vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum, erreichen können.
Der Investitionsplan von Präsident Juncker im Umfang von 315 Milliarden Euro muss eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung der geforderten Investitionen in Energieinfrastrukturen und Innovation spielen wird. Lassen Sie uns diese Gelegenheit und diese Investitionen in kleine und große Infrastrukturprojekte nutzen, um Arbeitsplätze zu schaffen, den Energieverbrauch zu verringern und die Energiepreise zu senken.
Sehr geehrte Damen und Herren,
selbstverständlich hat unsere Energiepolitik Einfluss auf unsere Fähigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen. Wir haben bei vielen Gelegenheiten erklärt, dass wir im Kampf gegen den Klimawandel weltweit eine führende Rolle übernehmen und mit gutem Beispiel vorangehen wollen. Das Europäische Parlament wird weiterhin Druck auf die EU ausüben, um hinsichtlich unserer eigenen Ziele ehrgeiziger zu sein, etwa im Bereich der Energieeffizienz sein. Außerdem wird das Parlament weiterhin eine Klimadiplomatie einfordern. Im Vorfeld der diesjährigen Klimakonferenz in Paris ist eine wesentliche Herausforderung für die EU, eine führende Rolle zu übernehmen und voran zu gehen. Für einen Erfolg ist eine gemeinsame Position der EU unerlässlich.
Um sicherzustellen, dass es in Paris auch wirklich zu einer Einigung kommt, und zwar zu einer, aufgrund derer die Welt, die Zielvorgabe „unter 2°C” erreichen kann, sollten wir das Thema Klimawandel in allen relevanten Sitzungen mit Drittländern ansprechen.
Abschließend möchte ich sagen, dass es bei der Energieunion um große Fragen, große Beträge, große Interessen und großen Ehrgeiz geht. Zu ihrer Schaffung wird es vieler Gesetzesvorschläge bedürfen, umfassender und nachdrücklicher Unterstützung sowie der uneingeschränkten Umsetzung auf allen Ebenen. Das Europäische Parlament glaubt an die Ziele der Energieunion. Wir werden die Legislativvorschläge sowie die Art und Weise, wie wir in dieses Projekt, das wesentliche Interessen der Union und ihrer Bürger berührt, eingebunden werden, jedoch sehr genau prüfen.
Einige von Ihnen erwägen, bei der Energieunion nach dem Vorbild des Europäischen Semesters vorzugehen. Nun, ich werde später noch auf diesen Punkt zurückkommen. Soviel aber bereits an dieser Stelle: das Europäische Semester weist sicherlich mehrere Aspekte auf, die verbesserungswürdig sind. . So erstaunt es nicht, dass die Kommission derzeit plant, den gesamten Ablauf zu überarbeiten. Lassen Sie uns also aus den bisherigen Erfahrungen lernen und von Beginn an ein effizientes Konzept entwickeln. Die Energiepolitik ist ein zentraler Politikbereiche unserer Union, und deshalb müssen die Gemeinschaftsinstitutionen hier transparent, demokratisch und effektiv handeln.
Griechenland
Sicher spreche ich auch in Ihrem Namen, wenn ich sage, dass wir die Vereinbarung zwischen der griechischen Regierung und den 18 anderen Mitgliedern der Eurogruppe über die Verlängerung des derzeitigen Programms um vier Monate mit großer Erleichterung aufgenommen und begrüßt haben.
Die entscheidende Frage lautet nun: Was werden wir in diesen Monaten tun, die wir gewonnen haben?
Griechenland hat infolge der einseitigen Haushaltskürzungen große soziale Verwerfungen hinnehmen müssen. Wir müssen darüber nachdenken, was wir tun können, um das Leid des griechischen Volkes zu lindern. Denn wir alle wissen: Wenn das soziale Netz einer Gesellschaft brüchig wird, besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und die Demokratie insgesamt untergraben wird.
Am dringendsten müssen wir etwas gegen die dramatische Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland tun. Einer von zwei jungen Menschen ist arbeitslos. Es ist unerträglich, dass junge Menschen mit ihren Lebenschancen für eine Krise bezahlen, die sie nicht verursacht haben. Bei unserem Treffen in der vergangenen Woche sprachen Ministerpräsident Tsipras und ich über wie wir der gegenwärtigen Situation mit pragmatischen Maßnahmen begegnen können. Eine solche Maßnahme, die wir diskutiert haben, ist die rasche Bereitstellung von Geldern aus der Europäischen Beschäftigungsinitiative für junge Menschen. Griechenland wurden im Rahmen der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen bereits 171,5 Mio. EUR zugewiesen. Ergänzt wird dieser Betrag durch den gleichen Betrag aus dem Europäischen Sozialfonds. Indem wir 50 Mio. EUR an griechischen Geldern zur Verfügung stellen, können wir 393 Mio. EUR für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland mobilisieren. Wir sollten rasch die derzeitige Revision der YEI-Regelung verabschieden, um den Vorfinanzierungsumfang auf 30 % zu erhöhen, was die Umsetzung von Programmen vor Ort beschleunigen kann. Zwei Programme, die 20.000 junge Griechen erreichen würden, können bereits umgesetzt werden, nämlich das „Jugendgarantie-System“ und das „Integrierte Interventionsprogramm“. Ich appelliere an die die Kommission und meine Kollegen im Parlament - vor allem und dringend aber an die griechische Regierung - sich rasch auf die notwendigen Schritte zu einigen und diesen jungen Menschen zu helfen. Bitte seien Sie pragmatisch. Wir dürfen nicht das Risiko eingehen, eine ganze Generation zu verlieren.
Klar ist aber:
Durch gegenseitige Schuldzuweisungen werden wir das Problem nicht lösen.
Ohne Verlässlichkeit werden wir kein Vertrauen zurückgewinnen.
Wir werden keinen Weg aus der Krise finden, wenn wir nicht auf gegenseitige Garantien zählen können.
Um wieder Vertrauen aufzubauen, sind alle gefordert, auf Provokationen zu verzichten. Ich bin tief besorgt darüber, dass einige Politiker billige Slogans nutzen, um die Öffentlichkeit aufzuwiegeln, dass Menschen zum Hass gegeneinander aufgestachelt und dass die Europäer gegeneinander ausgespielt werden, obwohl sie, ja wir alle Opfer der Finanzkrise sind. Einige zahlen, indem mit ihren Steuergeldern Garantien für anderer Länder Schulden finanzieret werden, andere zahlen, indem sie notgedrungen Kürzungen der Sozialleistungen hinnehmen. Vor diesem Hintergrund wirtschaftlicher und sozialer Spannungen säen Populisten und Extremisten ihre Saat des Hasses, und Europa erntet Ressentiments und Unfrieden. Die Dämonen der Vergangenheit erheben einmal mehr ihr hässliches Haupt, Dämonen, die den Völkern Europas nie etwas anderes als Leid und Krieg beschert haben. Ich stelle mit Bestürzung fest, dass Fremdenfeindlichkeit erneut an Boden gewinnt. Ich fordere jedermann auf, kühlen Kopf zu bewahren und keine Brücken abzubrechen, die schwierig wieder aufzubauen sein werden.
In den nächsten Monaten brauchen wir dringend einen Plan für nachhaltiges Wachstum und dauerhafte Beschäftigung.
Das Europäische Semester
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Europäische Parlament war überrascht, dass Sie dem Europäischen Semester auf der Tagesordnung dieses Gipfeltreffens so geringe Priorität einräumen. Was Griechenland betrifft haben Sie erkannt, dass das, was in einem Land geschieht, sich auch auf Ihr Land auswirken kann. Unsere nationalen Volkswirtschaften können nicht länger als abgeschlossene Einheiten betrachte werden - sie sind eng miteinander verknüpft. Das Europäische Semester versucht genau dieser Interdependenz mit einer engeren Koordinierung zu begegnen, und verdient genau deshalb mehr Engagement von Ihrer Seite. Nur 9 % der länderspezifischen Empfehlungen wurden 2013 von den Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt – 9 %!
Das Europäische Parlament unterstützt deshalb die Empfehlungen der Kommission für eine Verbesserung des Europäischen Semesters durch eine Straffung der bestehenden Verfahren, einschließlich des Zeitplans, und eine verstärkte Einbeziehung der nationalen Parlamente. Nur wenn die nationalen Parlamente tatsächlich mitwirken und ihre Standpunkte darlegen können, werden sie sich auch dafür einsetzen, dass das Europäische Semester ein Erfolg wird.
Das Europäische Parlament unterstützt das Dreisäulenkonzept des Jahreswachstumsberichts für 2015: Investitionen, verantwortungsvolle Haushaltspolitik und Strukturreformen. Wir sind überzeugt, dass dies der richtige Politikmix ist, um die europäische Wirtschaft zu beleben.
Zur ersten Säule: Investitionen. Wie Sie wissen, hat das Europäische Parlament den Investmentplan von Präsident Juncker nachdrücklich begrüßt. Wir arbeiten nun an den Einzelheiten, u.a. an den Governancestrukturen oder den Kriterien für Projektauswahl. Wir wollen eine tragfähige Projektauswahl sicherstellen. Wir fordern auch eine besondere Regelung für KMUs: Der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) sollte Finanzhilfen und Darlehen für kleine und mittlere Unternehmen erleichtern. Außerdem wollen wir nicht, dass der EFSI auf nationaler Ebene finanzierte Projekte durch ko-finanzierte europäische Projekte ersetzt; vielmehr soll sich der EFSI auf Projekte konzentrieren, die eine Rendite abwerfen oder einen positiven sozialen Kosten-Nutzen-Effekt aufweisen, Projekte mit einem europäischen Mehrwert, die jedoch noch nicht für eine Bankfinanzierung in Frage kommen. Danken möchte ich besonders jenen Ländern, die mit gutem Beispiel vorangehen und bereits Beiträge zum EFSI angekündigt haben, nämlich Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.
Zur zweiten Säule: Verantwortungsvolle Haushaltspolitik. Das Europäische Parlament begrüßt, dass die Zahl der Länder, gegen die ein Defizitverfahren angestrengt wurde, erheblich zurückgegangen ist: von 24 Länderm im Jahr 2011 auf 11 Länder im Jahr 2014. Besorgt sind wir allerdings über wachsende Ungleichheiten, einen Rückgang der Kaufkraft, die hohe Langzeitarbeitslosigkeit und besonders die dramatische Jugendarbeitslosigkeit sowie die nach wie vor sehr hohe öffentliche und private Verschuldung einer Reihe von Euro-Ländern. Diese Verschuldung bremst nicht nur das Wachstum sondern stellt auch im Falle künftiger Schocks ein erhebliches Risiko dar.
Selbstverständlich sollten wir nicht nur auf die Ausgabenseite der Haushalte schauen, sondern auch auf die Einnahmeseite. Wo bleibt die Finanztransaktionssteuer meine Damen und Herren? Ab jetzt werde ich Ihnen diese Frage auf jedem Treffen des Europäischen Rates stellen.
Auch bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug müssen wir mehr tun. Dabei geht es um Fairness und soziale Gerechtigkeit, aber auch darum, den nationalen Haushalten substantielle Beträge zuzuführen. In diesem Zusammenhang begrüße ich den gestrigen Vorschlag der Kommission zur Transparenz bei Steuervorbescheiden als einem Schritt in die richtige Richtung. Aber es ist nur ein erster Schritt auf den noch viele weitere folgen müssen.
Lassen Sie mich meine Ausführungen zum Europäischen Semester mit dem Verweis auf die dritte Säule schließen: Strukturreformen. Das Europäische Parlament ist der Ansicht, dass eine flexible Geldpolitik der EZB durch ehrgeizige und sozial nachhaltige Strukturreformen seitens der Mitgliedstaaten ergänzt werden sollte. Dabei muss den sozial- und beschäftigungspolitischen Auswirkungen der Reformen mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Den Wettbewerb um die niedrigsten Kosten kann die EU nicht bestehen. Es ist höchste Zeit, dass wir in unserem europäischen Sozialmodell nicht einen Wettbewerbsnachteil sehen, wie uns einige glauben machen wollen, sondern es als das anerkennen, was es wirklich ist: unser größter Vorteil.
Ukraine und östliche Nachbarländer
Sehr geehrte Damen und Herren,
der brutale Mord am russischen Reformpolitiker und Oppositionsführer Boris Nemtsov in der Nähe des Kremls in Moskau zwei Tage vor einer Demonstration, die er gegen den Ukraine-Konflikt und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise organisierte, hat uns schockiert und entsetzt. Boris Nemtsov war ein mutiger Kämpfer gegen Korruption und Despotismus. Sein Tod ist ein gravierender Rückschlag für alle, die sich für ein offenes und wirklich demokratisches Russland einsetzen.
Das Europäische Parlament fordert eine unabhängige internationale Untersuchung des Mordfalls. Wir erwarten, dass den Verdächtigen ein fairer und transparenter Prozess nach rechtsstaatlichen Kriterien gemacht wird.
Beim letzten Gipfeltreffen des Europäischen Rates habe ich Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande zu ihrer diplomatischen Mission in Minsk vom 12. Februar 2015 beglückwünscht und ihre Bemühungen gewürdigt, eine friedliche Lösung für den Konflikt in der Ost-Ukraine zu finden. In diesen Tagen überwachen wir die Umsetzung des in Minsk geschlossenen 13 Punkte umfassenden Friedensabkommens.
Der Abzug schwerer Waffen von der Front ist ein Hoffnungsschimmer. Doch Gewalt und Beschuss sind weiter an der Tagesordnung. Der Waffenstillstand ist nach wie vor gefährdet. Wir fordern alle Parteien nachdrücklich auf, Wort zu halten und die Vereinbarungen umzusetzen, nämlich den Waffenstillstand zu wahren, alle russischen Truppen und von russischer Seite unterstützten illegalen bewaffneten Gruppen und Söldner abzuziehen und alle Gefangenen auszutauschen.
Seit Beginn der Krise, und besonders nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim vor einem Jahr, arbeitet die Europäische Union auf eine friedliche Lösung dieses Konflikts in unserer unmittelbaren Nachbarschaft hin. Wir wissen, dass die einzig mögliche Lösung eine politische Lösung ist.
Bisher haben wir allen Versuchen widerstanden, uns zu spalten. Das ist eine gute Nachricht. Denn gespalten sind wir schwach, aber vereint sind wir stark. Ich fordere Sie daher dringend auf, von unilateralen Maßnahmen abzusehen und gegenüber Russland weiterhin eine gemeinsame Position zu vertreten. Mit Sicherheit sollten wir weiterhin zweigleisig fahren: mittels Sanktionen den kritischen Druck auf Russland aufrechterhalten und gleichzeitig die Unterstützung für die Ukraine ausweiten.
Was den ersten Punkt betrifft: Die Sanktionen haben sich als nützliches Instrument erwiesen, um Russland an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Sie müssen zum jetzigen Zeitpunkt weiter aufrechterhalten werden.
Die EU hat ihre Liste für Visaverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten zu Recht bis September verlängert. Das dritte Paket sektorbezogener Sanktionen gegen wichtige russische Wirtschaftssektoren - Energie, Finanzen und Rüstung - wird ebenfalls bis zu seiner Überprüfung in Kraft bleiben. Präsident Tusk, Sie haben angekündigt, die EU sei bereit, die Sanktionen im Fall einer weiteren Eskalation zu verschärfen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die zweite Komponente unseres Krisenmanagements muss die Ausweitung der Unterstützung für die Ukraine sein. Die Europäische Union hat immer die Souveränität der Ukraine, ihre territoriale Unversehrtheit und ihr Recht auf Selbstbestimmung unterstützt. aber wir müssen noch mehr tun, um die Ukraine intern zu stabilisieren. Das Europäische Parlament konzentriert sich deshalb auf den Reformprozess in der Ukraine. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um Kiew bei der Stabilisierung der ukrainischen Wirtschaft zu unterstützen, das Assoziierungsabkommen umzusetzen und Fortschritte in Bezug auf wesentliche justizielle, verfassungsmäßige und der Korruptionsbekämpfung dienende Reformen zu erzielen. Für die Stabilität und Sicherheit der Ukraine ist die Fortsetzung des Reformprozess ebenso wichtig, wie die Beilegung des Konflikts mit Russland.
Ein Bereich, in dem Kiew mehr Unterstützung gebrauchen könnte, ist die Energieversorgungssicherheit. Das Europäische Parlament begrüßt die bei den trilateralen Gesprächen über die Erdgasversorgung in Brüssel erzielte Einigung auf eine befristete Lösung für die Gasversorgung der Ukraine bis Ende März. Allerdings ist eine langfristige Lösung notwendig, um die russischen Gaslieferungen an die Ukraine sicherzustellen, und die EU-Mitgliedstaaten sollten Solidarität zeigen, indem sie die Lieferungen gegen die Hauptflussrichtung an die Ukraine ausweiten. Für die langfristige Energieversorgungssicherheit sowohl der Ukraine als auch der EU ist die Schaffung der Energieunion von größter Bedeutung.
Das bevorstehende Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft in Riga am 21./22. Mai wird große Bedeutung haben und uns dabei unterstützen, eine strategische Überprüfung einer unserer prioritären Politiken vorzunehmen. Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass unsere Politik der Östlichen Partnerschaft den Herausforderungen gewachsen sein muss und deshalb stärker fokussiert, wirksamer, differenzierter und gezielter auf konkrete Ergebnisse ausgerichtet werden muss.
Auf dem Gipfeltreffen sollten wir Fortschritte bezüglich der Umsetzung der Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau erzielen. Wir gehen davon aus, dass die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten die Ratifizierungen dann abgeschlossen haben werden. Wir möchten diesen Ländern, die Fortschritte in ihren Reformprozessen erzielt haben, neue Chancen für eine vertiefte Zusammenarbeit mit der EU bieten. Das schließt den Abschluss der zweiten Phase der Visaliberalisierung und umfangreichere Makrofinanzhilfen ein. Vieles hängt auch von unseren Partnern selbst ab. Sie sind aufgefordert, die systemische Korruption und oligarchische Elemente auszumerzen und ein rechtsstaatliches System zu begründen. Wir sollten nicht vergessen, dass die Stärke der internen Institutionen vielleicht die beste Immunität gegen externe Bedrohung darstellt. Wir wollen diese Reformen durch den Ansatz „mehr für mehr“ und „weniger für weniger” unterstützen. Die Europäische Union kann ihre Nachbarländer besser unterstützen, wenn wir unsere transformative Macht nutzen um Modernisierung und Reform voranzutreiben.
Libyen
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor vier Jahren demonstrierten Libyer friedlich für Würde und Gerechtigkeit. Die erste Flagge, die über dem befreiten Bengasi wehte, war die Flagge der EU! Für sie ist Europa ein Modell für Frieden, Wohlstand und Fortschritt.
Heute jedoch läuft Libyen Gefahr, auseinander zu brechen.
Wir dürfen unsere Augen vor dem Leid des libyschen Volkes nicht verschließen.
Wir dürfen unseren Nachbarn nicht den Rücken zukehren.
Das entstehende politische Vakuum öffnet die Tür für dschihadistische Gruppierungen und kriminelle Netzwerke. Die barbarische Enthauptung von 21 Ägyptern durch den sogenannten Islamischen Staat im vergangenen Monat war möglicherweise ein Menetekel für Kommendes.
Der gestrige Terroranschlag auf das Bardo-Museum in Tunis, bei dem 22 Menschen getötet und 20 verletzt wurden, hat uns zutiefst schockiert. Nach den ersten freien Wahlen und der Verabschiedung der neuen Verfassung im Parlament war dies ein brutaler Angriff auf das Herz der Demokratie. Tunesien ist eine junge Demokratie mit gewählten, rechtmäßigen politischen Institutionen. Wir dürfen nicht in die Falle „Islamismus versus Sicherheit“ tappen.
Im Namen des Europäischen Parlaments möchte ich der tunesischen Regierung im Kampf gegen den Terrorismus und bei der Wiederbelebung der Wirtschaft unsere umfassende Unterstützung versichern. Dieser Anschlag führt uns erneut die Gefahr vor Augen, dass die Gewalt des Dschihad aus Libyen auf andere Länder übergreift. Terrorismus ist ein internationales Phänomen und stellt eine globale Bedrohung dar. In diesen schwierigen Zeiten bekunden wir unsere Solidarität mit dem tunesischen Volk und seiner Regierung: Wir stehen an Ihrer Seite!
Sehr geehrte Damen und Herren,
400.000 Libyer sind heute bereits Binnenflüchtlinge. Viele mehr sind aus dem Land geflohen. 1,5 Millionen Menschen alleine nach Tunesien. Für Flüchtlinge aus anderen Ländern ist Libyen wegen der fehlenden Grenzkontrollen zu einem bevorzugten Ausgangspunkt geworden, um in der Suche nach Schutz in seeuntüchtigen Booten an die europäische Küste zu gelangen. Die humanitäre Lage verschlechtert sich jeden Tag weiter und wird sich negativ auf Libyen, seine Nachbarländer und Europa auswirken, sofern wir nicht unsere humanitäre Hilfe verstärken und den Menschen in Not helfen. Bisher tun wir nicht sehr viel.
Zunächst möchte ich eines klar sagen: es gibt keine militärische Lösung. Der laufende Dialog unter der Schirmherrschaft der UNO und umfassender Einhaltung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates ist der einzige Weg nach vorn. Ermutigende Fortschritte wurden im Januar in Genf und im Februar in Ghadames erzielt. Die Gespräche, die diesen Monat in Marokko und Algerien geführt werden, bestätigen diesen Weg. Die Einbeziehung regionaler Diplomatien ist offensichtlich von Vorteil. Die Mitgliedstaaten der EU müssen geschlossen bleiben und gemeinsam handeln. Wir sind überzeugt, dass die EU und ihre maghrebinischen Partnerländer das gleiche Ziel verfolgen, nämlich mittels eines echten und inklusiven politischen Dialogs der Ausbreitung der Gewalt Einhalt zu gebieten.
Es steht dem libyschen Volk zu, selbst über sein Schicksal zu entscheiden. Lassen Sie uns sicherstellen, dass in diesem Prozess alle Gehör finden: Frauen, junge Menschen, Unternehmer, lokale Gebietskörperschaften und viele andere. Eine Regierung der nationalen Einheit bietet für das libysche Volk die beste Chance, dass die Aussöhnung gelingt und der Weg in eine friedliche und auf Wohlstand basierende Zukunft eröffnet wird. Das Parlament ist der Auffassung, dass die EU bereit sein muss, eine solche Regierung beim Aufbau des Landes, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie bei der Reform des Sicherheitssektors zu unterstützen, was nach wie vor den besten Schutz vor einer Herrschaft der Milizen und terroristischer Gruppen bietet. Gleichzeitig ist das Europäische Parlament bereit, dem Rat des UN-Sonderbeauftragten, Bernardino Leon, zu folgen, restriktive Maßnahmen gegen diejenigen zu verhängen, die den politischen Prozess behindern und Gewalt fördern. Damit eines klar ist: Gefordert ist eine umfassende langfristige Strategie.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.