Liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen! Ich hoffe, auch das Vertrauen derjenigen gewinnen zu können, die sich heute nicht für mich entschieden haben.
Ich danke Ihnen, Herr Kollege Iglesias, ich danke Ihnen, Frau Lunacek, Ihnen, Herr Kollege Karim, für diesen Wettbewerb.
Ich danke denjenigen, die für mich gestimmt haben.

Als erster in seinem Amt wiedergewählter Präsident weiß ich um diese außerordentliche Ehre. Ich bin mir bewusst, dass aus diesem erstmaligen Vorgang in diesem Hause eine besondere Verpflichtung für mich erwächst und ich will mich dieser Verpflichtung stellen - ich nehme sie sehr ernst.

Unser Parlament, meine Damen und Herren, ist das Herz der Demokratie in der Europäischen Union. Die Rolle, die unsere Kolleginnen und Kollegen auf der nationalen Ebene wahrnehmen, ist unsere Rolle auf der Ebene der EU: Die Exekutive nach einer Wahl einzusetzen, sie in ihrer Arbeit durch die Gesetzgebung zu beauftragen und die Durchführung dieser Arbeit zu überwachen.

Was auf der nationalen Ebene als normal und selbstverständlich galt, fehlte auf der europäischen Ebene. Eine überwältigende Mehrheit hier in diesem Haus hat dies vor der Europawahl bemängelt und daraus die Konsequenz gezogen, dass nur jemand an die Spitze der nächsten Kommission gelangen soll, der sich zuvor als Kandidat bei den Bürgerinnen und Bürgern vorgestellt und um ein Mandat beworben hat.

In meiner Sprache heißt ein solcher Mensch Spitzenkandidat. Dieses Wort hat Eingang auch in viele andere europäische Sprachen gefunden. Es ist ein europäisches Wort geworden!

Einer dieser Spitzenkandidaten ist als Resultat dieses Prozesses vom Europäischen Rat am vergangenen Wochenende als designierter Kommissionspräsident nominiert worden und muss sich hier am 15. Juli einer Vertrauensabstimmung stellen. Ich glaube, meine Damen und Herren, dass dies ein großer Schritt für die Stärkung des Parlaments und des Parlamentarismus in der EU ist.
Ein Erfolg, auf den wir, die Abgeordneten, auf den unsere Institution stolz sein kann.
Ein Prozess, der eine tiefe Veränderung in Europa bewirken wird.

Aber, meine Damen und Herren, nach wie vor stehen wir vor großen Herausforderungen:

Die dramatische Jugendarbeitslosigkeit, besonders der jungen Frauen und Männer unter 25 Jahren, die eine Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit schafft, die unsere Demokratie bedroht.

Die Ungleichheit zwischen Ländern, zwischen Gruppen in der Gesellschaft, vor allem Dingen, meine Damen und Herren, die noch immer bestehende Ungleichheit zwischen Frauen und Männern darf uns nicht ruhen lassen.

Die Vollendung der Reformen im Banken- und Steuersystem fordern unser starkes Engagement in der weiteren Gesetzgebung.

Auch die Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen werden ganz sicher umfangreich und schwierig werden.

Und wir sind uns glaube ich über alle Fraktionsgrenzen darüber einig, dass wir eine Charta der digitalen Grundrechte im 21. Jahrhundert brauchen.

Ebenso eine humane Migrations- und Asylpolitik, damit sich Tragödien wie die in den letzten Jahren im Mittelmeer nicht wiederholen.

Wir brauchen Gerechtigkeit für Menschen und Unternehmen im Binnenmarkt, eine Energiepolitik, die uns unabhängig macht, Energie bezahlbar hält und die unsere Energieversorgung sichert.

Der Kampf für den Schutz unserer natürlichen Ressourcen und gegen den bedrohlichen Klimawandel bleibt auch in dieser Wahlperiode unsere Daueraufgabe.

Es gibt eine lange Liste von Aufgaben, meine Damen und Herren, die wir gemeinsam anpacken müssen. Und die 396 neu gewählten Kolleginnen und Kollegen, unter ihnen viele junge Frauen und Männer, die sicher auch frischen Wind hierher bringen, diese neuen Kolleginnen und Kollegen will ich zu ihrer ersten Sitzung besonders herzlich willkommen heißen.
Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen - Sie werden viel Arbeit im europäischen Parlament finden, es warten große Herausforderungen auf uns!

Ein Parlament, das 751 Abgeordnete aus 28 souveränen Staaten vertritt, mit Abgeordneten, die die Regionen vertreten, von den Azoren bis zur Grenze nach Russland und Weißrussland, vom Norden Lapplands bis nach Malta, ein solches Parlament ist schon durch seine Existenz ein Ort, an dem die kontinentalen Probleme im Alltag sichtbar werden. Eine Institution, in der die sehr unterschiedlichen Sorgen und Bedrohungen spürbar werden.

Deshalb brauchen wir eine seriöse Debatte über die internationale Rolle der EU und unsere Rolle als Parlament in dieser Debatte und über die internationalen Strategien, darüber brauchen wir in diesem Hause eine richtungsgebende Diskussion.

Wir in der EU waren in den letzten fünf Jahren stark mit uns selbst beschäftigt wegen der schweren Krisen. Und diese sind auch heute nicht zu Ende. Aber um uns herum geschehen dramatische Dinge. Der Bürgerkrieg in Syrien und die Flüchtlingsströme, die er auslöst, fordern uns gemeinsam heraus, und zwar jeden Tag, genauso wie der Zerfall des Irak, die Radikalisierung und die Bürgerkriege in Afrika, der Zerfall ganzer Staaten. All dies dürfen wir nicht unterschätzen.

Wir brauchen nicht nur eine Debatte über Flüchtlingsströme und wie wir die Flüchtlingsfrage regeln, wir brauchen vor allen Dingen, meine Damen und Herren, und ich sage das mit Blick auf die Revision der finanziellen Vorausschau, mehr Geld für die Entwicklungspolitik und wir brauchen eine konsequente Debatte über den Waffenhandel! Wir werden die Fragen nur dann lösen, wenn wir die Probleme in den Regionen lösen, in denen die Probleme entstehen.

Und dieses Haus, meine Damen und Herren, hat sich mit der Ukraine in der vergangenen Wahlperiode unzählige Male befasst. Was dort geschehen ist und geschieht, hat 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs, 75 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs dazu geführt, dass Menschen in Europa Angst vor Krieg haben! Das darf nicht sein!

Wenn wir es ernst meinen mit der EU als Friedensmacht, dann muss unsere ökonomische Kraft politisch so genutzt werden, dass die, die mit uns Handel treiben wollen, die Herrschaft des Rechts akzeptieren, und nicht das Recht des Stärkeren praktizieren. Und deshalb sind all diejenigen, die unter diesen Strategien leiden, die, die unsere Solidarität aus dem europäischen Parlament besonders bedürfen.

So gewinnen wir Vertrauen von Menschen zurück, wenn die Menschen das Gefühl haben, die Europäische Union ist für sie da, sie schützt sie und stärkt sie. Die Grundlage der Herrschaft des Rechts, meine Damen und Herren, ist der Respekt vor der Würde des Menschen - jedes einzelnen Menschen, unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Herkunft, seiner Hautfarbe, seines Glaubens, seiner Form zu leben.

Man kann eine Demokratie nur auf dieser Grundregel aufbauen. Die Garantie von gegenseitigem Respekt und von Menschenwürde muss deshalb die Leitlinie unseres Handelns sein. Und wir hier müssen sie zur Grundlage unserer Arbeit machen. In diesem Haus und durch dieses Parlament in den internen Prozessen der EU und durch die EU in der internationalen Politik. Ich weiß, die überwältigende Mehrheit dieses Hauses steht hinter dieser Position. Ich sage deshalb als Präsident des Europäischen Parlaments: Wer auch immer die Regeln von gegenseitigem Respekt und Menschenwürde in Frage stellt, trifft auf meinen energischen Widerstand.

Vor uns liegt viel Arbeit. Lassen Sie uns im kollegialen Geist in kontroversen aber konstruktiven Diskussionen an diese Arbeit herangehen.

Und lassen Sie mich Ihnen noch einmal, sehr persönlich, für dieses außerordentliche Vertrauen danken. Ich hoffe, ich werde mich Ihres Vertrauens würdig erweisen. Vielen Dank.